18.10.2022: Redebeitrag bei der Abschlussdemonstration der
Kurdistantage
Die Rolle der BRD
„Kurdistan verteidigen“ – unter diesem Motto gehen wir heute auf die
Straße. Im Kampf um Befreiung und gegen Ausbeutung und Unterdrückung
sind die kurdische Bewegung und gerade auch die Revolution in Rojava
ein Bezugspunkt für Revolutionär*innen auf der ganzen Welt geworden.
Die Errungenschaften, genauso wie die Rückschläge und Fehler dienen
als Inspiration und können uns unglaublich viel lehren. In der BRD,
wie auch in vielen anderen imperialistischen Ländern, kommt noch
eine Besonderheit dazu, die wir beachten müssen: Der deutsche Staat
ist an der Unterdrückung von Kurd*innen und an Militärschlägen auf
kurdische Gebiete maßgeblich beteiligt.
Bereits im 19. Jahrhundert bestand eine enge Beziehung zwischen dem
damaligen Deutschen Reich und dem Osmanischen Reich, was das stille
Zuschauen beim Genozid an Armenier*innen im 1. Weltkrieg erklärt.
Heute ist die BRD neben den USA die wichtigste unterstützende Kraft
der Türkei in der Bekämpfung kurdischer Aufstände.
Die Gründe dafür sind einfach: Zunächst ist die Türkei durch ihre
NATO-Mitgliedschaft an viele westliche – vor allem westeuropäische –
Länder gebunden. Zwischen Europa und dem Nahen Osten liegend besitzt
Kurdistan eine geostrategische Lage als Tor zu den dortigen
rohstoffreichen Regionen. Dazu kommt, dass die Türkei über
Jahrzehnte hinweg abhängig von Importen aus der BRD geworden ist.
Zwar gibt es für deutsche Unternehmen auch zahlreiche andere
Absatzmärkte, die sie bedienen können, aus wirtschaftlicher Sicht
ist es jedoch nicht in ihrem Interesse, die guten Beziehungen zum
türkischen Staat durch die Unterstützung des kurdischen
Befreiungskampfes langzeitig zu gefährden.
Außerdem verfolgen die BRD und auch andere europäische Länder das
Ziel, Kurd*innen Verbindungen zur Befreiungsbewegung in Kurdistan zu
erschweren. Maßnahmen zur Kriminalisierung wie das Verbot von
Demonstrationen, Aufklärungsveranstaltungen und dem Zeigen
bestimmter Symbole oder Verhaftungen und Ausweisungen aus der BRD
finden ihren Rahmen in der EU-einheitlichen Liste terroristischer
Organisationen. In diese wurde 2004 die PKK und später sogenannte
Nachfolgeorganisationen aufgenommen. Während für ukrainische
Flüchtlinge – zurecht – die Grenzen geöffnet und massenhaft
Hilfsangebote geschaffen werden, bekommen also fliehende Kurd*innen
in Deutschland oft kein Asyl und werden schnell aufgrund einer
wirklichen oder nur angeblichen „ideologischen Nähe“ zur PKK
repressiv verfolgt.
Zudem schweigen westliche Staaten, inklusive der BRD, genau wie die
internationalen Institutionen über die seit Jahren andauernden
Angriffe auf kurdische Gebiete und den Einsatz internationaler
geächteter chemischer Kampfstoffe. Für imperialistische Staaten
steht nun mal das Kapital an erster Stelle, nicht Menschenleben.
Die BRD unterstützt dabei militärische Schläge auch direkt durch
Waffenlieferungen. So wurden nach der Zusammenführung der BRD und
der DDR beispielsweise Waffensysteme der NVA an die Türkei
weitergegeben. Über die letzten Jahre hinweg hat sich der türkische
Staat zum wichtigsten Abnehmer deutscher Waffenlieferungen
entwickelt – 2018 allein waren es Waffensysteme im Wert von 242,8
Millionen Euro. Auch das zeigt: Die Beziehungen zum AKP-Regime sind
zu fördernd für das deutsche Kapital, um sie zu gefährden. Aktuell
gilt die Türkei für die BRD, die USA und andere westliche Partner
außerdem als der wichtigste staatliche Vermittler im
Ukraine-Russland-Krieg.
Bei der Diskussion um die NATO-Aufnahme Schwedens und Finnlands wird
die Rolle der NATO bei den Angriffen Erdogans auf kurdische Gebiete
und die Unterdrückung von Kurd*innen ebenso deutlich. Nachdem die
Türkei den Beitritt der beiden Länder lange blockiert hatte und an
Bedingungen wie die Auslieferung von Oppositionellen geknüpft hatte,
kam es zu einer Absichtserklärung der drei Länder. Schweden und
Finnland stimmten zu, Abschiebungen zu erleichtern und Schweden
bewilligte vor zwei Wochen erstmals seit 2019 wieder den Export von
Kriegsmaterial an die Türkei.
Wir leben also hier in einem Land, das an der Ermordung und
Verfolgung von kurdischen Menschen und Befreiungskämpfer*innen
maßgeblich beteiligt ist. Personen, die in kurdischen Strukturen
aktiv sind, berichten immer wieder von ihnen bekannten kurdischen
Freund*innen, die Repressionen ausgesetzt sind oder durch
Militärschläge der Türkei getötet wurden. Der kurdische
Befreiungskampf findet nicht losgelöst von den Geschehnissen in
Deutschland und erst recht nicht unabhängig von den Entscheidungen
der deutschen Regierung statt. Wie Karl Liebknecht sagte: Der
Hauptfeind steht im eigenen Land. Es ist unsere Aufgabe, hier in der
BRD, den deutschen Imperialismus anzugreifen. Nur, wenn
Revolutionär*innen im imperialistischen Zentrum diesen Kampf
aufnehmen und die Staaten, die an der Spitze dieses Weltsystems
stehen, schwächen, können Befreiungsbewegungen in ausgebeuteten
Ländern langzeitig bestehen und siegen. Lasst uns unsere kurdischen
Freund*innen und Genoss*innen in ihrem Kampf unterstützen!